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Wie kommt es, dass im Haushaltsjahr 2016 ein Fehlbedarf von 8,76 Mio. Euro entstanden ist?

Dieser Effekt ist nicht erst zum Haushaltsjahr 2016 entstanden. Wetzlar ist unter den hessischen Sonderstatusstädten (Städte über 50.000 Einwohner) die Stadt mit der traditionell schlechtesten Ertragskraft.

Wetzlar konnte zum Haushaltsjahr 2008 einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Es folgten unausgeglichene Jahresabschlüsse und Rechnungsergebnisse.

Zum Haushaltsjahr 2015 konnte erstmals wieder ein ausgeglichener Etat (+ 80.500 Euro) vom Stadtparlament beschlossen werden. Die mittelfristige Finanzplanung prognostizierte auch für die Haushaltsjahre 2016 bis 2018 jeweils Überschüsse im Ergebnishaushalt. Allerdings veränderte sich die Lage im Laufe des Jahres 2015 mit dem erheblichen Einbruch beim Aufkommen der Gewerbesteuer.

Mit welchem Gewerbesteueraufkommen rechnete die Stadt, wie ist die tatsächliche Situation?

Ging die Stadt im Jahr 2015 zunächst von einem Steueraufkommen von 33,5 Mio. Euro aus, so musste der langjährige Oberbürgermeister und Kämmerer Wolfram Dette kurz vor seinem Ausscheiden aus dem Amt im November 2015 einen Nachtragshaushalt vorlegen, mit dem er den Gremien vorschlug, das Gewerbesteueraufkommen auf 25,5 Mio. Euro zu korrigieren.

Zu den Haushaltsberatungen für 2016 war von einem Steueraufkommen in Höhe von 25 Mio. Euro auszugehen. Alleine dieser Steuereinbruch wäre für sich genommen bereits im Stande, die aktuelle finanzwirtschaftliche Lage der Stadt zu erklären.

Einen Überblick über die Entwicklung des Gewerbesteueraufkommens in den zurückliegenden Jahren können Sie sich hier verschaffen.

Allenthalben hört man, dass die Steuerquellen sprudeln, warum nimmt Wetzlar an dieser Entwicklung bisher nicht teil?

In Wetzlar haben sich dankenswerter Weise in den zurückliegenden Jahren viele Firmen niedergelassen oder ihre Betriebsstätten erweitert. Dies schafft und sichert Arbeitsplätze und bringt Kaufkraft in die Stadt. Doch führt es auch dazu, dass die Gewerbesteuerbasis durch Abschreibungen reduziert wird.

Ferner haben erfolgreiche Unternehmen in Wetzlar ihren Sitz, die zu international agierenden Unternehmen gehören, die von den Gestaltungsmöglichkeiten des Steuerrechts Gebrauch machen und in einzelnen Fällen nicht am Standort Wetzlar zur Gewerbesteuer herangezogen werden können.

Zudem ist Wetzlar traditionell von der Stahlindustrie geprägt. Insbesondere durch Billigimporte aus Asien ist der deutsche und der europäische Stahlmarkt massiv unter Druck. Dies wirkt sich überaus nachteilig für die Stadt bei dieser Ertragsquelle aus.

Der Kommunale Finanzausgleich wurde neu gestaltet und die hessische Landesregierung berichtete, dass sich nahezu alle hessischen Kommunen besser stellen würden als nach der alten Rechtslage. Das trifft doch auch für Wetzlar zu, oder?

Ja, bei isolierter Betrachtung der vertikalen Finanzbeziehungen zwischen dem Land Hessen und der Stadt trifft dies zu.

Die sogenannten Schlüsselzuweisungen, die der Stadt im Jahr 2016 vom Land zugewiesen werden, steigen zwar um 4,3 Mio. Euro gegenüber dem Vorjahr auf nunmehr 25,4 Mio. Euro an, doch ist das nur eine Seite der Medaille. Der kommunale Finanzausgleich berücksichtigt auch die Umlageverpflichtungen der Stadt gegenüber dem Landkreis Lahn-Dill.

Mit der Neuregelung des Finanzausgleichs hat das Land auch die Hebesätze der Kreis- und der Schulumlage, also der Zahlungen der Stadt an den Landkreis Lahn-Dill festgesetzt.

Und damit stiegen die Umlageverpflichtungen im Haushaltsjahr 2016 um 6,3 Mio. Euro auf jetzt 28,4 Mio. Euro.

Unterm Strich führten die Finanzausgleichsbeziehungen zu einer Verschlechterung von 2 Mio. Euro, die den Haushalt 2016 ebenfalls belastet.

Wie werden Fehlbeträge, die durch unausgeglichene Haushalte entstehen, gedeckt?

Wenn die Erträge nicht ausreichen, um die Aufwendungen zu decken, dann muss sich die Kommune über Kassenkredite finanzieren. Das vom Gesetzgeber als kurzfristige Liquiditätshilfe gedachte Instrument des Kassenkredits hat sich angesichts der nicht auskömmlichen kommunalen Finanzausstattung vielerorts zum Standard der ergänzenden Finanzierung entwickelt.

Wetzlar musste zur Finanzierung seiner Fehlbeträge inzwischen Kassenkredite mit einem Volumen von mehr als 58 Mio. Euro aufnehmen. Angesichts von Kassenkreditzinsen, die sich bei einem Zinssatz von unter 1% eingepegelt haben, mag ein Kreditbestand in dieser Höhe auf den ersten Blick als handhabbar eingestuft werden, doch würde jede Zinserhöhung den städtischen Haushalt weiter unter Druck bringen.

Daher muss in der Gegenwart gehandelt und die Verschuldung insbesondere im Bereich der kurzfristigen Kreditverpflichtungen zurückgeführt werden, damit wir die Lasten nicht auf künftige Generationen überantworten.

Welche Vorgaben gab es vom Land zur Haushaltskonsolidierung?

Das Land Hessen unterstellt, dass jede hessische Kommune ab dem Jahre 2017 einen ausgeglichenen Ergebnishaushalt vorweisen kann. Nur in besonderen Ausnahmefällen toleriert das Land einen Haushaltsausgleich nach 2017. Um dieses Ziel zu erreichen, gibt das Land den Kommunen sogenannte Abbaupfade vor. Dieser besagt, dass je nach Lage der Kommune mindestens 40 bis 75 Euro pro Jahr und Einwohner einzusparen sind.

Konkret für Wetzlar wurde ein Abbaubetrag von 72,43 Euro pro Einwohner vorgegeben. Da der städtische Haushalt bereits einen Abbaupfad von 42,37 Euro für 2016 eingeplant hatte, war noch die Differenz von rd. 30 Euro pro Einwohner zu erbringen. Multipliziert mit den 51.574 Einwohnern der Stadt waren dies rd. 1,55 Mio. Euro, die für das Haushaltsjahr 2016 an zusätzlichen Einsparungen erforderlich wurden. Welche konkreten Maßnahmen in Angriff genommen werden, ist eigenverantwortlich von der Kommune zu entscheiden. Daraufhin hat die Stadtverordnetenversammlung auf Vorschlag des Magistrats entschieden, im Falle einer Haushaltsgenehmigung nahezu alle Aufwandspositionen mit einer haushaltswirtschaftlichen Sperre im Umfange von 10% zu belegen.

Warum ist Wetzlar 2012 nicht unter den Rettungsschirm des Landes Hessen „geschlüpft“?

Die Kriterien, unter welchen Voraussetzungen Städte, Gemeinden und Landkreise Mittel des Landes Hessen zur Entschuldung bei Kassenkrediten in Anspruch nehmen konnten, wurden durch das Land Hessen vorgegeben. Kriterien waren zum einen die Höhe der negativen Ergebnisse des Ergebnishaushaltes der Jahre 2005 bis 2009 und ein Kassenkreditvolumen in Höhe von mindestens 470 Euro pro Einwohner als Durchschnitt der Jahre 2009 und 2010.

Wetzlar hatte in den Jahren 2005 bis 2008 noch ausgeglichene Haushalte. Erst 2009 schlug die Wirtschafts- und Finanzkrise durch. Das durchschnittliche negative Ergebnis  der Jahre 2005 bis 2009 lag aber unter den Festlegungen des Landes. Im zweiten Kriterium der durchschnittlichen Kassenkredite der Jahre 2009/2010 lag Wetzlar mit 306 Euro pro Einwohner damals noch deutlich unter den Festlegungen des Landes von 470 Euro pro Einwohner. Die Stadt Wetzlar wurde daher vom Land Hessen nicht als schutzschirmbedürftig identifiziert und konnte daher keine Entschuldungsmittel erhalten.

Warum werden keine Investitionen verschoben, um das Defizit zu vermindern?

Das öffentliche Haushaltsrecht unterscheidet zwischen einem Ergebnishaushalt, der die laufenden Erträge und Aufwendungen (u. a. Steuereinnahmen, Gebühreneinnahmen, Personalaufwendungen, Sachaufwendungen, Abschreibungen, Kreis- und Schulumlage) enthält und einem Finanzhaushalt, in dem die Vermögensveränderungen (u. a. Investitionen, Kreditaufnahmen und –tilgungen) dargestellt werden.

Da die Einsparungen ausnahmslos im Ergebnishaushalt nachgewiesen werden müssen, wirkt sich ein Verzicht auf Investitionen, die im Finanzhaushalt dargestellt sind, nicht unmittelbar auf den Ergebnishaushalt aus. Der Verzicht auf eine Investition entlastet daher den Ergebnishaushalt grundsätzlich nicht.

Es gibt immer wieder Befürchtungen, die Stadt würde die sogenannten freiwilligen Leistungen massiv eindämmen und damit Sport, Kultur, soziales Engagement und insbesondere das Ehrenamt massiv beschneiden. Wie sieht dies der Magistrat?

Der Lebenswert der Stadt und das Lebensgefühl der Menschen, die in Wetzlar leben oder die unsere Stadt besuchen, wird ganz maßgeblich durch ein großartiges ehrenamtliches Engagement und einem bunten und vielfältigen Strauß mit sportlichen, kulturellen und sozialen Angeboten getragen. Die Stadt spannt hier einen Rahmen, den sie grundsätzlich bei allen haushaltswirtschaftlichen Schwierigkeiten auch weiterhin gewährleisten will. Es geht dabei um die Verlässlichkeit für viele Vereine und Verbände.

Alleine durch den Verzicht – der überhaupt nicht gewollt ist – auf die von der Auf-sichtsbehörde der Stadt mit der Haushaltsgenehmigung 2015 auf den Betrag von rund 3,54 Mio. Euro festgeschriebenen sogenannten „freiwilligen Leistungen“ könnte aktuell der Ausgleich des Etats nicht erreicht werden.

Welche Produktbereiche schlagen sich besonders im derzeitigen Ergebnis nieder?

Zu nennen ist der Produktbereich Soziale Sicherung, der mit einem Zuschussbedarf in Höhe von rund 23,3 Mio. Euro ausgewiesen ist. Ganz wesentlich handelt es sich um Pflichtleistungen, die von der Stadt als örtlicher Träger der Jugendhilfe erbracht werden müssen. Trotz des in der gesamten Bundessrepublik anwachsenden Jugendhilfebedarfs steigen in Wetzlar die Aufwendungen nicht zuletzt dank der Präventionsmaßnahmen unterdurchschnittlich an.

Alleine für die Kindertagesstätten in der Stadt (14 städtische und 16 maßgeblich von der Stadt finanzierte Einrichtungen in der Trägerschaft von Kirchen, Verbänden und Elternvereinen) sind nach Abzug der Elternbeiträge und der Leistungen des Landes (KiFöG) von der Stadt rund 11,2 Mio. Euro zu finanzieren. 

Die Personalaufwendungen sind neben dem Produktbereich „Soziale Sicherung“ ein ganz wesentlicher Posten. Kann die Stadt nicht auch durch den Abbau von Stellen Gelder einsparen?

Unsere Prozesse und Abläufe prüfen wir regelhaft. So ist im Falle einer Stellenva-kanz eine Stellenbesetzungssperre einzuhalten und es wird die Notwendigkeit der Wiederbesetzung der Stelle intensiv geprüft. Das hat auch in der Vergangenheit zum Abbau von Stellen im Rathaus geführt.

Bevor zum Beispiel Rechtsansprüche auf einen KiTa-Platz für die über Dreijährigen und später die unter Dreijährigen durch den Gesetzgeber festgelegt wurden, führte die Stadt in ihren 14 eigenen Kindertagesstätten annähernd 100 Stellen für Erzieherinnen und Erzieher.
Heute bedarf es zur Erfüllung dieser gesellschaftspolitisch wichtigen Aufgaben rund 143 Vollzeitstellen. Jedoch ist der Stellenplan „nur“ um rund 11,5 Stellen ausgeweitet worden. Daraus folgt, dass im Laufe der Zeit bei keineswegs verringertem Aufgabenbestand die übrigen Stellen (mehr als 30) wurden durch Umschichtungen erwirtschaftet wurden.
Wir müssen und werden aber darüber entscheiden, ob und mit welchen Standards wir künftig die städtischen Dienstleistungen erbringen wollen. Denn jede Unterdeckung in einzelnen Produktbereichen ist über die Grundsteuer B am Ende zu finanzieren. Das ist die Vorgabe der Landesregierung. 

Wie will die Stadt das Problem in den Griff bekommen?

Wie gesagt: Wir werden Standards und Strukturen, die im Laufe der Jahrzehnte aufgebaut worden sind auf den Prüfstand stellen und die damit verbundenen Wirkungen, aber auch die wirtschaftlichen Effekte transparent darstellen, um verantwortungsvolle Entscheidungen treffen zu können. Das zieht sich durch alle Aufgabenbereiche.

Ferner werden wir nicht umhin kommen, Gebührenhaushalte ausgeglichen zu gestalten und die Grundsteuer B zu erhöhen. In diesem Bewusstsein hat das Stadtparlament die Anhebung der Grundsteuer für bebaute und bebaubare Flächen im kommenden Jahr auf 590 Hebesatzpunkte vorgesehen.

Anhebungen auf der einen und Aufwandskürzungen auf der anderen Seite sowie die berechtige Erwartung, dass sich das Gewerbesteueraufkommen wieder erhöhen wird, veranlassen zu der Einschätzung den Haushalt 2017 und in den folgenden Jahren nicht nur ausgleichen, sondern mit Überschüssen abschließen zu können.

Diese Überschüsse braucht die Stadt um Kassenkredite zu tilgen oder dringend erforderliche Infrastrukturinvestitionen, die in den zurückliegenden Jahrzehnten aufgeschoben wurden, zu tätigen.

Welchen Gegenwert in Euro und Cent hat ein Hebesatzpunkt der Grundsteuer B?

Ein Hebesatzpunkt bei der Grundsteuer B entspricht rund 20.295 Euro. Das heißt nur zum besseren Verständnis, dass das Defizit im Bereich der Bäder (im laufenden Jahr 1,55 Mio. Euro) einen Gegenwert hat von über 76 Prozentpunkten bei der Grundsteuer B. Die Unterdeckung bei den Museen und Sammlungen entspricht annähernd 52 Hebesatzpunkten, die Unterdeckung bei den Kindertagesstätten übersteigt gar das gesamte Aufkommen der Grundsteuer B in Wetzlar.